Haben oder Sein – Gedanken zu Erich Fromm in unserer Zeit – in Form einer persönlichen Variante des berühmten Hamletmonologs von William Shakespeare.
Diese Umdichtung wurde sowohl im online Kulturmagazin „eXperimenta“, Nov. 2016, S. 76/77 als auch in das Jahresheft „FROMM FORUM“ 2017, S. 112, der Internationalen Erich-Fromm Gesellschaft aufgenommen
© 2015 Christopher Kerkovius, Verwendung bitte nur mit meinem Namen!
Zunächst das Original von Shakespeare:
Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage:
Ob's edler im Gemüt, die Pfeil' und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden, oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden. Sterben - schlafen -
Nichts weiter! - und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil - 's ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben - schlafen -
Schlafen! Vielleicht auch träumen! - Ja, da liegt's:
Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir den Drang des Ird'schen abgeschüttelt,
Das zwingt uns still zu stehn. Das ist die Rücksicht,
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.
Denn wer ertrüg' der Zeiten Spott und Geißel,
Des Mächt'gen Druck, des Stolzen Misshandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter, und die Schmach,
Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Wenn er sich selbst in Ruh'stand setzen könnte
Mit einer Nadel bloß! Wer trüge Lasten,
Und stöhnt' und schwitzte unter Lebensmüh'?
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod -
Das unentdeckte Land, von des Bezirk
Kein Wandrer wiederkehrt - den Willen irrt,
Das wir die Übel, die wir haben, liebe
Ertragen, als zu unbekannten fliehn.
So macht Gewissen Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;
Und Unternehmungen voll Mark und Nachdruck,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen. -
[Shakespeare: Hamlet, Prinz von Dänemark, S. 94. Digitale Bibliothek Band 89: Die Bibliothek der Weltliteratur, S. 62158 (vgl. Shakespeare-Schlegel/Tieck Bd. 4, S. 316-317)]
Und jetzt meine Nachdichtung im Geiste Erich Fromms:
Haben oder Sein, das ist hier die Frage,
ob’s edler im Gemüt, dem Haben blind zu frönen, oder,
sich waffnend gegen eine See von Plagen
durch Widerstand sich denkend ganz dem Sein
zu widmen - und zu leben! Denken – Sein -
nichts weiter! – und zu wissen, dass mit dem Sein
viel Not und Elend dieses Daseins endet,
die unsers Fleisches Erbteil – ’s ist ein Ziel,
auf’s Innigste zu wünschen! Leben – Sein –
Leben! Vielleicht auch träumen! - Ja, da liegt's:
Denn was uns dann für Träume kommen mögen,
Wenn wir die Gier des Habens abgeschüttelt,
Das zwingt uns still zu steh’n. Das ist die Einssicht,
Die Haben wehrt, so sinnlos fort zu wirken!.
Denn wer ertrüg' der Zeiten Gier und Geißel,
Der Mächt'gen Druck, der Reichen Raffgier,
Versagter Nächstenliebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter, und die Schmach,
Die der Profitgier Macht und Sieg erweist,
Wenn er zum Wandel sich entschließen könnte
Mit gutem Willen bloß! Denn wer ertrüg‘ die Lasten,
Und der Armen Stöhnen unter Lebensmüh'?
Nur dass so oft die Furcht vor konsequentem Handeln
Uns hindert, uns zu wandeln. Das macht
Das wir die Übel, die wir seh’n und haben, lieber
Ertragen, als zu neuen Unfern geh’n.
So macht Gewissen Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt
Und unser Wandel jetzt von Haben hin zum Sein,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen. -
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